Wanderung Øygardstølen – Kjerag – Flørli
Ich war so ungefähr 20 Jahre alt, als ich in einer Outdoor-Zeitschrift ein Foto sah, das wie eine Fotomontage wirkte. Da stand ein junger Mann auf einem Stein, der zwischen zwei Felsen eingeklemmt war und darunter war nur Luft und Wasser zu sehen. Kjeragbolten hieß der Ort und damals nahm ich mir vor, dass ich diesen Stein auch besuchen möchte, wenn ich mal in Norwegen bin.
Mehr als 25 Jahre später stand ich morgens um 5 Uhr genau 1000 Meter tiefer und wartete auf das Startsignal zum ThorXtri, das bis dato härteste Sportevent meines Lebens. Weitere zwei Tage später und mit müden Beinen bestieg ich, zusammen mit Sabine, um 13:55 Uhr in Lauvvik die Fähre, die uns erneut nach Lysebotn bringen sollte, diesen kleinen Ort am Ende des Lysefjord. Mit 45 km/h ging es nun unter der Lysefjord-Brücke ins gleichnamige Fjord. Vorbei am Preikestolen, einem weiteren dieser Touri-Hotspots. Später entdeckten wir ganz klein den Kjeragbolten über uns. Auf 1000 Meter Entfernung war der Stein kaum auszumachen.
Die Fähre Lauvvik – Lysebotn fährt mindestens zweimal täglich in beide Richtungen. In Lauvvik gibt es viele kostenlose Parkplätze, wo man Auto oder Wohnmobil abstellen kann. Als Fußgänger ist keine Reservierung der Fähre nötig. Die 14 Euro pro Person kann man bequem mit EC-Karte an Board zahlen. Bei Vorbuchung spart man sich ein paar Kronen. Möchte man das Auto mitnehmen, so muss man am Vortag buchen. Die Fähre fährt auch mehrere kleine Anlegestellen an, an denen aber nur bei Bedarf gehalten wird. Flørli ist so ein Bedarfshaltepunkt. Möchte man dort also zusteigen, empfiehlt es sich, eine Stunde vorher anzurufen. Die Telefonnummer dazu findet man am Anleger. Fahrplan gibt es beim Betreiber Kolumbus.
In Lysebotn hofften wir auf eine Mitfahrgelegenheit hinauf nach Øygardstølen, dem Cafe mit Großparkplatz, wo die Tour zum Kjerag beginnt. Leider hatte aber entweder niemand Platz für uns oder wollte erst eine Nacht am Campingplatz verbringen. So starteten wir zu Fuß, um die 7 Kilometer und 650 Höhenmeter hinter uns zu bringen. Immer wieder hielten wir den Daumen raus, wenn mal ein Auto kam und tatsächlich stoppte ein netter Norweger, der zumindest Sabine und unsere beiden Rucksäcke mitnehmen konnte. Ich hatte dann drei Kilometer weiter Glück und konnte mir so die Hälfte des Weges sparen. Leider erfuhren wir erst später, dass es in Lysebotn wohl ein Anruftaxi gibt, dessen Nummer man beispielsweise im DNT-Wanderheim erfragen kann.
Vom Panoramacafé ging es erstmal knapp 200 Hm steil bergauf. Das Ganze teilweise mit Eisenketten versichert, denn der Weg führte in großen Teilen über massive Granitplatten. Die ganz Wanderung bis Flørli ist übrigens mit dem roten „T“ gekennzeichnet, das der norwegische Wanderverein für seine Wege verwendet. Man würde also auch ohne GPS auskommen. Bei Nebel oder schlechter Sicht ist einem aber mit dem elektronischen Helfer wesentlich wohler. Überhaupt darf man an die Wege nicht die Ansprüche stellen, die man aus den Alpen gewohnt ist. Ungesicherte 1er Kletterstellen gab es mehrmals.
Der Abstieg auf der anderen Seite führte uns an einen kleinen See, der uns als Zeltplatz empfohlen wurde, weil das Tal windgeschützt liegt. Dort sah es wirklich schön aus, doch da wir noch zeitig dran waren, wollten wir noch weiter.
Nach zwei Kilometer passierten wir eine kleine Notfall-Schutzhütte, danach nochmal gute Zeltmöglichkeiten am Wasser. Dann erreichten wir ein felsiges Hochplateau, wo es nur noch gelegentlich Grasinseln gab, die Platz für unser Zelt boten.
Gute Zeltplätze finden sich im ersten Tal nach dem Start. Anschließend muss man die wenigen geeigneten Stellen suchen, die aber immer relativ ungeschützt sind. Das Gebiet um den Kjeragbolten ist auch nur bedingt geeignet. Nach dem Abstieg von dort gibt es von Kilometer 7 bis 17 zahlreiche Möglichkeiten an kleinen Seen. Man muss also abwägen, ob man den Touristenmassen am Kjeragbolten entgehen möchte oder ob einem ein schöner Zeltplatz wichtiger ist.
Nach vier Kilometer fanden wir dann ein schönes Plätzchen, wo auch genug Wasser vorhanden war. Der starke Wind machte es nicht gerade angenehm, doch eine warme Suppe wärmte uns nach dem Zeltaufbau wieder auf. Später bekamen wir dann noch Besuch von einer kleinen Schafherde, die wohl unser Essen gerochen hatte.
Am Morgen hörten wir im Zelt bereits die ersten Wanderer vorbei marschieren. Höchste Zeit also, aus dem Schlafsack zu kriechen und uns auch auf den Weg zu machen. Nach einem Kilometer erreichten wir den Kjerag, mussten aber ein wenig nach dem Kjeragbolten suchen. Wir ließen uns von einer Steinpyramide ablenken und suchten viel zu weit rechts.
Vor Ort dann kaum Leute, sprich keine Wartezeiten fürs begehrte Erinnerungsfoto. Der Zustieg technisch wirklich einfach, dafür aber halt mit Blick auf einen 1000-Meter-Abgrund. Damit muss man erstmal klar kommen.
Wir haben zweimal an suboptimalen Stellen übernachtet, weil wir am ersten Tag spät dran waren. Idealerweise nimmt man die erste Fähre, so dass man Mittag die Wanderung startet. Dadurch hat man zwar am Kjeragbolten sicher einige Besucher, kann aber anschließend noch ins nächste Tal absteigen.
Zwei Stunden hatten wir für Fotos, Kaffee und Frühstück gebraucht. Entsprechend viele Besucher waren mittlerweile eingetrudelt und so wurde es höchste Zeit, uns wieder auf den Weg zu machen. Nach einem kurzen Anstieg folgte ein steiler Abstieg auf großen Granitplatten. Entgegen meiner Befürchtungen hielten unsere Schuhe auch auf den Stellen gut, die mit Flechten überwachsen und nass waren. Drei Kilometer folgten wir nun dem Tal, bis wir einen kleinen Kamm überquerten. Dann zwei Kilometer Abstieg und nach einer harmlosen Flußüberquerung wurde es Zeit für eine längere Pause.
Ein paar Meter weiter kam uns ein dänisches Paar entgegen. Kurzer Smalltalk, gegenseitiges Beschreiben der kommenden Strecke und schon ging es weiter. Es folgte ein längeres Flachstück, bevor es immer weiter nach unten ging. Ein wunderbarer kleiner See folgte dem anderen. Je weiter nach unten wir kamen, desto feuchter wurde aber auch der Untergrund und schließlich lagen auch Bretter, um ein Einsinken zu verhindern. Wir waren noch früh dran und so machten wir uns an den folgenden Aufstieg, nicht wissend, dass es ab nun mit guten Zeltplätzen vorbei war. Steil ging es auf großen Granitplatten und -blöcken nach oben. Fast an der höchsten Stelle fanden wir noch ein paar Quadratmeter Erde, auf die wir unser Zelt stellen konnten. Die anderen Stellen entweder nur Fels oder viel zu nass.
Wie vorhergesagt hatte es über Nacht angefangen zu regnen. Gegen Morgen wurde das Wetter wieder geringfügig besser, doch bekamen wir den ganzen Vormittag immer wieder kurze Schauer ab. Von unserem Lagerplatz mussten wir nun zwei Kilometer über Felsplatten absteigen, bevor wir einen Schotterweg erreichten, den die Kraftwerksbetreiber angelegt hatten und der uns zum letzten Höhepunkt unserer Wanderung führte.
4444 Stufen führten uns nun von 740 Meter hinunter ans Fjord. Europas längste Holztreppe läuft parallel zu den Wasserrohren des ehemaligen Kraftwerkes von Flørli. Die 2 Kilometer lange Treppe begann zuerst als flach fallender Steg, der dann recht schnell immer steiler wurde. Mit dem Gewicht am Rücken fiel das Gefälle nicht gerade leicht. Meine Langdistanz in den Beinen machte das Ganze nicht gerade einfacher. Unterwegs gab es mehrmals Möglichkeit Pause einzulegen. Auf kleinen Plattformen standen dafür Bänke bereit. Bei gutem Wetter kann man da wohl Stunden verbringen und den Blick aufs Fjord genießen. Die drohenden Wolken drängten uns aber zu Eile und nach einer kurzen Kaffeepause brachten wir die zweite Hälfte der Stiegen hinter uns.
Genau als wir unten ankamen und den Fuß ins Power Café setzten, begann es richtig zu regenen. Drei Stunden hatten wir bis zur Abfahrt der Fähre. Zeit genug, um das kleine Kraftwerksmuseum zu besuchen und uns durch die Speisekarte des Cafés zu futtern. Neben den obligatorischen Waffeln zum Kaffee (kostenloser Refill) tat es uns der hausgemachte Rentierburger besonders an. Überhaupt ist das ganze Café sehr liebevoll eingerichtet. Einer der Betreiber spricht hervorraged deutsch und hatte auch Zeit, uns ein paar interessante Dinge zu erzählen. Im angeliederten B&B kann man auch übernachten.
Per Fähre ging es anschließend wieder nach Lauvvik, wo die Wanderung endete.