Bericht: Skitour Haute Route 2.0 – Tag 2
Die Nacht war angenehm und da wir die ganze Hütte für uns hatten, verkleinerten wir unseren Schlafraum, indem wir eines der unteren Stockenbettenlager mit Decken verhängten. Durch unsere Eigenwärme bekamen wir es so kuschelig warm. Den Wecker hatten wir so gestellt, dass wir keinesfalls den Sonnenaufgang verpassen würden. Belohnt wurden wir mit einen traumhaft leuchtendem Mont Blanc zum Frühstück. Schon allein für diese Aussicht lohnt sich ein Besuch auf der Hütte.
Nach unserem gestrigen Aufstieg zur Cabane de Valsorey stand heute das schwierigste und gefährlichste Teilstück der ganzen Tour an. Im Führer war zu lesen, dass man die Passage unbedingt nur bei sicheren Verhältnissen machen und sich auf Wühlarbeit an der Wechte einstellen solle.
Mein Körper hatte sich über Nacht recht gut an die Höhe gewöhnt und die ersten Meter hinter der Hütte begannen auch noch recht harmlos. Während Elmar und ich es langsamer angingen und viel fotografierten, war Markus schon enteilt und spurte den Berg hinauf. Das Gelände wurde nun bald steiler, was noch nicht so das Problem gewesen wäre. Schlimmer war eher die Tatsache, dass bei fast keinem Schritt der Ski hielt. Unter einem sehr dünnen Harschdeckel befand sich eine Triebschneeschicht von 5-10 cm und darunter dann wieder Harsch. Trotz Harscheisen rutschten wir ständig seitlich weg und auch die Felle hielten nicht immer. So mussten wir extrem viel mit den Stöcken aus dem Oberkörper arbeiten. In der dünnen Luft ging das bald an die Substanz. Zwischendurch eigentlich keine Möglichkeit eine vernünftige Pause zu machen. Ein Riegel und ein Gel aus der Oberschenkeltasche mussten reichen. Meine Nalgene-Flasche hatte ich zum Glück wieder am Gletschergurt. In der schmalen Rinne fanden wir keine Gelegenheit mal den Rucksack abzunehmen, das Gefälle dürfte irgendwo um die 40 Grad gelegen haben. Ein Sturz hätte unweigerlich 200 Meter weiter unten geendet.
Markus war mittlerweile eine halbe Stunde vor uns und wir sahen, wie er mehrmals an der erwähnten Wechte vor dem Plateau du Couloir querte. Ich befürchtete schon, dass er keine geeignete Stelle für den Übergang fand. In Wirklichkeit hatte er die Wartezeit genutzt um mir eine Seilsicherung für die haarigsten Meter zu bauen. Ich musste fast lachen – hatte ich tags zuvor wirklich so schlecht ausgesehen? Die Querung selbst war dann recht einfach, nur meine schweren Ski waren ein wenig hinderlich. Vier Stunden waren wir mittlerweile unterwegs – für gerade mal 650 Höhenmeter. Nun endlich abfellen und schnell die paar Meter aufs Gletscherplateau gerutscht. Am nächsten Felsriegel landete der Rucksack im Schnee. Mit Blick auf die Biwakschachtel über uns gab es endlich eine Brotzeit.
Die richtige Linienfindung bei der Gletscherabfahrt war nicht ganz einfach, denn der GPS-Track aus dem Führer von Rother führte mitten ins Spaltengelände. Um nicht abzustürzen mussten wir (in Fahrtrichtung) viel weiter rechts bleiben. Nicht auszudenken, wo wir bei schlechter Sicht gelandet wären. Für die lange Plagerei wurden wir nun mit einer wunderbaren Powderabfahrt belohnt. Unten philosophierten wir dann kurz, wer denn die richtige Skiwahl getroffen hatte. Elmar und ich mit den breiten Latten oder Markus mit seinen Zahnstochern, die ihn zwar flott nach oben brachten, aber nun doch deutlich weniger Spaß bescherten. 🙂
1300 Höhenmeter auf rund 10 Kilometer fuhren wir nun ab und leider blieb es aufgrund der geringen Neigung nicht aus, dass wir immer wieder schieben mussten. Im Talgrund erwartete uns dann noch ein leichter Gegenanstieg von 200 Hm zur Hütte. Auf halber Strecke passierten wir ein großes Gebäude, das auf der Karte nicht näher bezeichnet war. Vermutlich wird es dem schweizer Militär gehören.
An der Hütte dann große Ernüchterung. Die Cabane de Chanrion besitzt entgegen dieser Beschreibung keinen Winterraum! Und das, wo die Hütte überall als Stützpunkt für die Haute Route ausgewiesen wird. Lediglich der Schuhraum war als Schutzraum geöffnet, der Rest der Hütte abgeschlossen und sogar mit Holzplatten verschraubt. Ungläubig untersuchten wir alle Nebengebäude, ob man dort vielleicht nächtigen könnte. Fehlanzeige. Da es nur noch eine Stunde Tageslicht geben würde, war auch nicht daran zu denken, zur Cabane des Dix oder Cabane des Vignettes weiterzugehen, wo es sicher Winterräume hatte. Uns blieb nichts anderes übrig, als uns auf eine harte Nacht einzustellen. Wenigstens gab es aber ein Dixi-WC. Zunächst nutzten wir aber das letzte Tageslicht aus um im Freien für eine anständige Kalorien- und Flüssigkeitsnachfuhr zu sorgen.
Infos Cabane de Chanrion (2462 m)
KEIN WINTERRAUM! Es sind lediglich ein kleiner Schutzraum und ein Dixi-WC vorhanden. Also Isomatte und Schlafasack mitnehmen. Sitzgelegenheiten: eine kleine Bank und die Treppe nach oben
Elmar und ich hatten immerhin Leichtschlafsäcke dabei. Markus dagegen nicht, bekam dafür aber alles, was die Hütte so an Komfort zu bieten hatte, sprich ein zwei Meter langes Brett mit 40 cm Breite. Dazu traten wir noch übrige Klamotten ab. Ich schnappte mir einen gelochten Gummifussabstreifer um wenigstens nicht direkt auf dem kalten Boden liegen zu müssen. Zusammen teilten wir uns einen Biwaksack. Elmar wanderte die Treppe hinauf und rollte sich auf dem kleinen Podest vor dem abgesperrten Schlafraum zusammen. Die Nacht war die Hölle. Länger als 30 min hat von uns wohl niemand am Stück geschlafen.
Im Nachhinein wäre es wohl sinnvoller gewesen, wenn wir in der Biwakschachtel am Plateau du Couloir geblieben wären, um am nächsten Tag zur Cabane des Dix, Cabane des Vignettes oder Refuge des Bouquetins zu gehen.
Nachtrag: Im Nachhinein habe ich noch das Biwak L’Aiguillette à la Singla auf 3179m entdeckt, das ohne dem Umweg zur Chanrion noch bei Tageslicht erreichbar gewesen wäre. Durch die exponierte Lage ist aber ein Aufstieg mit Stirnlampen wohl eher nicht ratsam.